Ruthe

TRENNUNG AUF ZEIT – CHANCE ZUM NEUBEGINN
Wie eine räumliche Trennung für Paare zur Chance werden kann

Von Reinhold Ruthe

“Eine Trennung muss nicht immer sofort eine Scheidung nach sich ziehen”, sagt der Wuppertaler Eheberater Reinhold Ruthe, “sie kann auch zur neuen Chance werden.” Allerdings: Beide Partner müssen weiter an der Beziehung arbeiten wollen.

Heike K. (42) hat ihren Mann betrogen. Als der Seitensprung auffliegt, ist er verletzt und wütend. Er kann die Nähe seiner Frau nicht mehr ertragen. Am liebsten würde er sie verlassen. Doch weil er sie trotzdem “irgendwie noch liebt” und auch den Kindern nicht die Mutter nehmen will, will er nicht vorschnell an Scheidung denken. Aber er braucht Zeit zum Nachdenken. Darum zieht er für einige Wochen in eine Pension.

Petra (34) und Markus M. (38) streiten täglich. Sie schaffen es einfach nicht, in ruhigen Worten über ihre Gefühle zu sprechen. Oft tragen sie Ihre Auseinandersetzungen mit lautstarken, entwürdigen Worten vor ihren Kindern aus. Nach einiger Zeit zeigen diese Verhaltensauffälligkeiten. Petra erkennt, wie sehr die Kinder leiden und möchte das Problem lösen. Sie bittet Markus, mit ihr eine Eheberatung aufsuchen, aber Markus zieht nicht mit. Nach weiteren Monaten des verbitterten Kämpfens ist die ganze Familie mit ihren Kräften am Ende. Petra zieht mit den Kindern aus mit dem Ziel, zur Ruhe zu kommen, aber die Ehe nicht aufzugeben.

Trennung als Chance begreifen

Zwei unterschiedliche Fälle, ein Lösungsansatz: Einer der Partner sucht die räumliche Distanz, um mit sich und dem anderen ins Reine zu kommen und so der Beziehung eine neue Chance zu geben. Die landläufige Meinung bezüglich räumlicher Trennungen lautet allerdings häufig anders: “Wenn einer der beiden erst einmal ausgezogen ist, ist es sowieso vorbei!” Aber stimmt das? Nicht zwangsläufig. Wenn es der Beziehung kriselt und das Zusammenleben unerträglich wird, kann Trennung eine Möglichkeit sein, über eine Lösung nachzudenken. Für schwer kranke Ehen – und die gibt es auch unter  bewussten Christen – kann eine Trennung auf Zeit die Rettung bedeuten. Fest steht:
– Eine räumliche Trennung muss kein Ende der Partnerschaft bedeuten.
– Eine räumliche Trennung ist keine Scheidung.
– Eine räumliche Trennung ist nicht zwangsläufig der Tod der Beziehung.
– Eine räumliche Trennung kann eine Chance zum Neuanfang werden.

Am Neuanfang arbeiten

Mann und Frau dürfen sich nichts vormachen, wenn ihre Beziehung lebensbedrohlich erkrankt ist und in einer gefährlichen Sackgasse steckt.
Die Trennung ermöglicht es beiden, sich Rechenschaft zu geben.
Die Trennung ermöglicht es beiden, über Fehler und Schwächen nachzudenken.
Die Trennung ermöglicht es beiden, gemeinsam mit einem Fachseelsorger, Berater oder Eheberater über Wurzeln und Hintergründe der Krise nachzudenken.

Unerlässlich ist es dabei allerdings, dass beide zu einem Berater gehen. Das heißt nicht, dass nicht auch Einzelgespräche geführt werden können. Doch wenn nur einer der beiden eine Beratung will und der andere Beratung, Therapie oder Seelsorge ablehnt, ist die Beziehung – zumindest aller Erfahrung nach – weitgehend gescheitert. Ehe ist eine Zweierbeziehung. In ihr sind zwei Menschen aus Gottes Sicht “ein Fleisch” geworden (Matthäus 19,5). Beide haben in der Regel die Schwierigkeiten arrangiert, beide halten sie aufrecht, und beide sollten sie gemeinsam meistern.

Wenn jeder zu einem anderen Seelsorger oder Berater geht, erzählt jeder seine Sicht der Dinge. So wird Vorurteilen und Selbstbetrug Tor und Tür geöffnet. Darum beherzige ich als Seelsorger und Therapeut seit Jahren einen Kernsatz: “Willst du belogen werden, arbeite nur mit einem Ehepartner!” Leider gilt dieser Satz auch für Christen, die in die Beratung kommen.

Viele Seelsorger arbeiten lieber mit einem Partner. Auf der einen Seite ist das leichter, keine Frage. Gleichzeitig wird die Beratung aber auch wesentlich schwieriger. Warum? Weil eigentlich beide Partner lernen müssen, mit einem Dritten ihre Konflikte zu besprechen. Beide müssen im Ehealltag mit ihren Persönlichkeitseigenarten zurecht kommen.

Mögliche Gründe für die Trennung

Undurchdachte Trennungen sind zumeist eine Flucht und der erste Schritt zur Scheidung. Aber Trennungen können hilfreich sein, wenn sie mit dem Ziel der Versöhnung und seelsorgerlich begleitet angegangen werden. Eine solche Trennung sollte auf keinen Fall vorschnell angegangen werden. Ehepartner sollten so lange wie möglich die Spannungen im häuslichen Miteinander aushalten, und gemeinsam an einer Verbesserung arbeiten. Aber ein Zusammenleben der Eheleute oder das Zusammenleben mit Kindern kann aus vielerlei Gründen zu einer Art “Hölle” werden, wo ein weiteres Miteinander unmöglich erscheint.

Aus meiner Praxis habe ich 12 Motive zusammengestellt, die zu Trennungen geführt haben. Oft hilft die Trennung, dem Partner den Ernst der Lage deutlich zu machen. Wer aus Schwäche immer wieder nachgibt, aber bitter und resigniert bei dem Partner bleibt, ermutigt den Partner, bei seinem destruktiven Verhalten zu bleiben. Die räumliche Trennung ist ein Alarmsignal, ernsthaft und gründlich über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken.

Motiv 1: Ein Ehepartner geht fremd.
Er ist auch nicht bereit, das Verhältnis aufzugeben.

Motiv 2: Ein Partner ist Alkoholiker.
Er ist nicht bereit, aus Rücksicht gegenüber der Familie eine Behandlung in Angriff zu nehmen. Die Trennung kann unter Umständen den Druck erhöhen, für sich und für die Familie eine ernsthafte Behandlung anzusteuern.

Motiv 3: Einer der Partner leidet unter einer schweren seelischen Störung.
Sein Verhalten gegenüber dem Partner und den Kindern ist unberechenbar. Ein fruchtbares Zusammenleben ist nicht mehr gewährleistet.

Motiv 4: Ein Partner wird gewalttätig.
Die Frau geht allein oder mit ihren Kindern ins Frauenhaus.

Motiv 5: Das Zusammenleben mit den Schwiegereltern wird unmöglich.
Schwiegertochter oder Schwiegersohn wohnen bei den Schwiegereltern. Sohn oder Tochter sind von ihren Eltern nicht abgenabelt. Sie verbünden sich mit den Eltern gegen den Partner.

Motiv 6: Zwei Partner sind rechthaberisch und streitsüchtig.
Beide haben die  Eheberatung aufgesucht. Dennoch sind beide nicht einsichtsfähig und kompromissbereit.

Motiv 7: Ein Partner kann nicht mit Geld umgehen.
Er ist spielsüchtig, überzieht Konten oder kauft teure Autos. Beratungen bleiben erfolglos. Er wurde mehre Male rückfällig.

Motiv 8: Ein Partner ist krankhaft eifersüchtig.
Seine Eifersucht ist wahnhaft. Er sieht seine Krankheit nicht ein. Er tyrannisiert und bedroht seinen Partner.

Motiv 9: Ein Partner entwertet den anderen.
Wodurch? Durch problematische Eheverträge, durch stark egoistisches Verhalten. Er ist zu Zugeständnissen nicht bereit.

Motiv 10: Durch unterschiedliche Erziehungsauffassungen.
Eltern streiten sich vor ihren Kindern. Die Kinder werden benutzt und zeigen Verhaltensauffälligkeiten.

Motiv 11: Die Kinder verlassen das Haus.
Der Mann hat Karriere gemacht und geht in seinem Beruf auf. Die Mutter hat sich nur um die Kinder gekümmert. Nicht wenige Ehen kommen in eine schwere Krise.

Motiv 12: Sexueller, körperlicher oder seelischer Missbrauch.
Kinder sind die Leidtragenden. Das Vertrauen des Zusammenlebens ist zutiefst erschüttert. Eine Trennung ist oft eine wirkliche Hilfe.

Konkrete Schritte gehen

Eins muss klar sein: Trennung lässt keine Probleme. Und nicht selten ist sie eine Flucht. Der Abstand verhindert lediglich die täglichen Auseinandersetzungen. Die Zeit heilt Wunden – aber keine ehelichen Schwierigkeiten. In der räumlichen Distanz erleben Sie bestenfalls einen Waffenstillstand – aber keinen inneren Frieden. Der Friede im Innern, der Friede in der Beziehung und der Friede mit Gott müssen erbeten und erarbeitet werden. Versöhnung kostet Arbeit. Wer die räumliche Trennung will, ohne ernsthaft an der Beziehung zu arbeiten, setzt seine Ehe aufs Spiel. Doch eine durchdachte und begleitete Trennung kann auch vieles in Gang bringen:

  • Jetzt können sich beide erinnern, dass sie einmal glücklich waren;
  • Jetzt formulieren sie einmal schriftlich: Was hat uns damals vor der Ehe angezogen? Was waren Ihre Kernmotive, ausgerechnet diesen Partner zu heiraten?
  • Jetzt prüfen Sie mit einem Dritten, ob der Schaden zu beheben ist;
  • Jetzt besprechen Sie mit einem Seelsorger, welche destruktiven Beziehungsmuster Sie praktiziert haben;
  • Jetzt wird nicht zugedeckt, sondern aufgedeckt; wer schweigt, entzieht sich;
  • Jetzt wagen Sie eine Beziehungsanalyse und heben Ihre Umgangspraktiken ins Licht;
  • Jetzt überprüfen Sie Ihre “Entzugserscheinungen” und spüren, ob Sie den anderen vermissen;
  • Jetzt schreiben Sie alle Ihre Muster auf, die Sie im Leben und in der Ursprungsfamilie gelernt haben – diejenigen, die Ihre Beziehung fördern und die, die Ihre Beziehung belasten;
  • Jetzt formulieren Sie Ihren Anteil an dem Beziehungsdilemma.
    Was haben Sie getan beziehungsweise unterlassen, dass Ihre Ehe in die Krise kam? Reden Sie sich nicht heraus, wenn Sie entdecken, dass Sie grundsätzlich verschieden sind. 80 Prozent aller Eheleute denken, fühlen und handeln unterschiedlich. Entscheidend aber ist vielmehr,
  • dass Sie die gegensätzlichen Zusammenspielmuster als hilfreich und fruchtbar erkennen;
  • dass Sie Kompromisse schließen können und nicht rechthaberisch auf Ihren Mustern beharren;
  • dass die Unterschiedlichkeit nicht Böswilligkeit bedeutet, sondern dass der andere diese Muster trainiert hat.

Alles ist möglich

Lassen Sie sich in einer solchen bewussten Trennungsphase nicht vorschnell vom Partner überreden, ohne Beratungsgespräche mit einem Dritten wieder zusammen zu ziehen. Wenn nach kurzer Zeit die alten Gräben wieder aufreißen, ärgern sich beide doppelt und sind um so überzeugter, dass sie nicht zusammenpassen. Die räumliche Trennung ist immer Ausdruck einer tiefen Krise. Sie kann nur von beiden gelöst werden. Beide Partner müssen in der Trennungsphase lernen,

  • ihre Probleme konkret beim Namen zu nennen;
  • Lösungen, die beide bejahen, für ihr Schwierigkeiten mit einem Dritten zu finden;
  • Lösungen in kleinen Schritten einzuüben, bevor sie wieder zusammenziehen und
  • vor Gott und voreinander um Vergebung für ihre Sünden zu bitten.

Wenn beide ehrlich wollen, dürfen sie darauf vertrauen, dass Gott ihnen bei der Bewältigung ihrer Probleme zur Seite steht. In der Bibel steht ein ermutigender Satz, den der Apostel Paulus auch Ehepartnern in Krisen ans Herz legt: “Denn alles ist mir möglich durch Christus, der mir die Kraft gibt, die ich brauche” (Philipper 4,13).

Reinhold Ruthe, verheiratet, eine erwachsene Tochter, war über 25 Jahre als Eheberater tätig. Er ist Autor zahlreicher Ratgeberbücher, überwiegend zu Ehe- und Erziehungsthemen.
Quelle: NEUES LEBEN – Das christliche Ratgeber-Magazin (www.neuesleben.com)

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