Die andere Pornofalle – eine Frage nach dem aktuellen christlichen Männerbild

Als Mann im besten Alter beschäftige ich mich immer wieder gerne mit dem Thema, was es bedeutet ein  Mann zu sein. Was macht uns aus und wie haben wir uns entwickelt? Dieses Thema stößt auf großes allgemeines Interesse. Nicht nur diverse Medien bringen dieses Thema immer wieder, es gibt sogar mehr und mehr Forschungen dazu. Es ist offensichtlich, dass die Frage, was einen Mann tatsächlich ausmacht, nicht mehr selbstverständlich beantwortet wird. Es ist feststellbar, dass sich in der westlichen Welt das Selbstbild des Mannes, nach zwei Weltkriegen, in denen für wenigstens zwei Generationen die männlichen Vorbilder immens reduziert wurden, nicht mehr stabil und sicher ist. Das ist ein interessantes Gebiet mit vielen Facetten. Nichts, was man mit wenigen Sätzen beantworten könnte.

In meinen Forschungen und Diskussionen stoße ich unweigerlich immer wieder auf die Aussagen über Männer und Pornographie. Seit geraumer Zeit wird dieses Thema gerne und oft besprochen. Egal ob es in säkularen Medien oder innerhalb der christlichen Männerarbeit ist. Frappant ist die massiv auftretende Behauptung, dass quasi fast alle Männer ein eklatantes Problem mit ihrer Sexualität, insbesondere mit dem Konsum von Pornos haben sollen. Doch ist dem wirklich so? Dazu möchte ich einige Gedanken beitragen.

Um es direkt hier schon festzuhalten: Ich will mit meinen folgenden Gedanken die Gefahr des (übermäßigen) Konsums von Pornographie nicht kleinreden. Insbesondere, was die Sexsucht betrifft. Zum Thema Pornographie und was davon zu halten ist, hätte ich vieles zu sagen. Das wenigste davon wäre befürwortend. Kurz und knapp: ich halte nichts von Pornographie. Und ja, ich weiß, wovon ich rede! Nein, meine Meinung resultiert nicht daraus, dass ich prüde sei oder was auch immer.
Eins ist mir hier allerdings, wie bei so vielen Themen wichtig: Wir müssen uns um eine differenzierte und umfassende Meinungsbildung kümmern. Polemik, egal in welche Richtung, bringt uns nicht vorwärts.
Weiter stelle ich hier ausdrücklich fest, dass Pornographie kein männliches Problem ist, sondern dass sich der Konsum von Pornographie auf beide Geschlechter bezieht. Ja, auch Frauen konsumieren Pornos und auch sie können damit echte Probleme bekommen.

Die Art der Fragestellung
Die Zahl der Umfragen und Erhebungen zu der Frage, wie Männer mit ihrer Sexualität umgehen, scheint mehr und mehr unübersichtlich zu werden. Etwas fällt jedoch so oft, eigentlich in der weitaus überwiegenden Zahl, auf: die Art der Fragestellung. Dabei ist genau die Art der Fragestellung enorm wichtig für die Relevanz einer Umfrage.

Es fällt auf, dass die Fragen zu oberflächlich gestellt werden. Man kann leicht den Eindruck gewinnen, dass mit solchen Umfragen lediglich ein Sensationsbild erzeugt werden soll. Umfragen, die tatsächlich wissenschaftlichen Kriterien genügen, sind dagegen rar gesät.

Ein Beispiel:
Gerne wird die Frage gestellt: „Haben sie schon einmal oder mehrfach Pornos gesehen? Ja / Nein“
Das Ergebnis überrascht jetzt wenig: Über 70% oder gar bis zu 90% der Männer antworten mit „Ja“. Nur, was sagt das konkret aus? Eigentlich so gut wie nichts. Aber solche Zahlen beeindrucken – das war es dann auch schon. Solche Zahlen finden wir zuhauf in den Publikationen und Seminaren.
Fällt ihnen auf, was nicht gefragt wurde?
Zum Beispiel: „Wann haben sie diese gesehen?“ „Wie alt waren sie da?“ „Wie oft haben sie Pornos angesehen?“ „Wie viele Pornos haben sie (z.B.) in den vergangenen sechs Monaten gesehen?“ „Erinnern sie sich oft an das, was sie dort gesehen haben?“ „Haben sie bei dem Konsum mehr Lust oder Abscheu erfahren?“ „Wie realistisch empfinden sie das, was in Pornos dargestellt wird?“ usw. usf.

Bekommen sie bereits einen Eindruck, wie viele zusätzliche Fragen man stellen muss, um nur halbwegs erkennen zu können, was das Ansehen von Pornos tatsächlich mit dem jeweiligen Mann gemacht hat? Wissenschaftliche Erhebungen umfassen zu dem Thema nicht ganz zufällig eine große Anzahl von Fragen – gerne auch schon mal bis zu weit über 100 oder mehr Fragen.
Somit sind schon gut über 90% aller diesbezüglichen Umfragen als polemischer Nonsens entlarvt. Denn mit 10 oder max. 20 Fragen kann man höchstens Scheinbestätigungen von Vorurteilen bekommen, die man zuvor schon hatte. Sensationszahlen generieren Sensationsmeldungen und die wiederum generieren Umsatz. Sowohl in den Medien, als auch für diverse Seminare, die für die leidende Männerwelt angeboten werden.

Worüber reden wir hier eigentlich?
Mit meiner Kritik habe ich dort angefangen, wo auch all diese Berichte, Bücher, Seminare, etc. anfangen: mit dem zweiten oder gar dritten Schritt. Der wichtigste erste Schritt wird gerne komplett ignoriert: die detaillierte Definition von „Pornographie“ und die Definition der Abgrenzung zur schädlichen, destruktiven Wirkung der Pornographie.

Es gibt, grob gesagt, wenigstens vier Definitionen:
(Nach Prof. Dr. Nicola Döring, Technische Universität Ilmenau)

  • Die juristische Definition – welche nicht wirklich scharf ist und in jedem Fall einer Auslegung bedarf.
  • Die allgemeine, alltägliche Definition. Hier wird festgehalten, wie allgemein, völlig undifferenziert darüber gedacht und geredet wird. Keinerlei klare Beschreibung, verschwommene Übergänge zwischen den unterschiedlichen Arten der Darstellungen, etcpp.
  • Die ethisch wertende Definition. Hier sind die individuellen persönlichen ethischen Ansichten ausschlaggebend. Damit hat auch diese Definition keinen wirklichen Wert, weil sie willkürlich erfolgt. Hier lassen sich wenigstens drei Ausrichtungen feststellen: die Anti-Porno-Position, die Anti-Zensur-Position, die Pro-Porno-Position.
  • Inhaltlich-funktionale Definition. Hier wird sich um eine wertneutrale
    inhaltlich-funktionale Gegenstandsdefinition bemüht.
  • Und weitere mehr.

Bevor wir Männer nach ihrem Umgang mit Pornographie fragen, müssen wir also erst einmal definieren, worüber wir genau sprechen.

In der Diskussion wird hier gerne vorgebracht, dass die Grenze zwischen gesunder Wahrnehmung des anderen Geschlechts zur ungesunden in der „Sexualisierung“ durch den Betrachter läge. Schon wieder ein Begriff, der definiert werden muss. Wikipedia hat das mal gemacht. Ein Zitat daraus: „- die Betrachtung eines Objektes unter sexuellen Gesichtspunkten bzw. unter dem Aspekt der Sexualität, besonders wenn dieses Objekt diese Betrachtung von sich aus nicht evoziert.“
Von christlicher Seite wird hier Jesus zitiert:
Mt 5:28 Ich aber sage euch, daß jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren, schon Ehebruch mit ihr begangen hat in seinem Herzen. (Rev.Elb.)

Ist also die männliche Betrachtung eines weiblichen Körpers unter sexuellen Gesichtspunkten bereits Ehebruch? Also schon schädlich und abwertend? Hier meine Antwort darauf:
Sie stellen als Mann fest, dass sie beim Anblick einer Frau diese als sexuell attraktiv und anziehend empfinden? Herzlichen Glückwunsch, sie haben gerade festgestellt, dass ihre, von Gott gegebene, Sexualität funktioniert – gesund und munter!
Erkennen sie, warum der Begriff „Sexualisierung“ hier alleine nicht funktioniert? Die alleinige Wahrnehmung unter sexuellen Gesichtspunkten sagt noch nichts darüber aus, was der Mann weiter mit diesen Eindrücken macht. Die Aussage von Jesus bezieht sich aber erst darauf. Keineswegs verurteilt Jesus das reine Wahrnehmen des anderen Geschlechts unter sexuellen Gesichtspunkten. Er problematisiert lediglich das, was ein Mann dann mit diesen Eindrücken weiter macht.

Kann denn ein Mann eine Frau – insbesondere in einer Aktdarstellung – unter sexuellen Gesichtspunkten wahrnehmen und nicht automatisch in einen Gedankenstrudel verfallen, in dem er diese Frau sexuell benutzt? Allerdings kann Mann das! Ob und wie gut er das kann, ist die darauf folgende Frage. Die Antwort ist wieder komplex und alles andere als pauschal. Der bittere Witz an der Sache ist, dass ein von außen aufgebauter Schulddruck eher dazu beiträgt, diese Eindrücke zu missbrauchen. Gut gemeinte Pauschalisierungen können also genau das provozieren, vor dem sie warnen wollen.

Gut gemeint, das Gegenteil damit erreicht.
Damit komme ich zu einem Resümee meiner Gedanken hier. Zu dem, was mich zu diesen Zeilen motiviert hat.

In den Medienberichten und Beiträgen wird gerne und viel zu dem Thema pauschaliert. Insbesondere bei der Betrachtung der männlichen Sexualität. Aber nicht nur dort, sondern auch in den vielen (gerade auch christlichen) Seminaren zu dem Thema. Das Problem ist, dass dies in keiner Weise hilfreich ist, es ist sogar extrem destruktiv. Denn indem man dem Mann unterstellt, ein triebgesteuertes Wesen zu sein, diffamiert man ein gesamtes Geschlecht. Statt dem Mann zu helfen, sein sexuelles Selbstbewusstsein zu stärken, degradiert man ihn zum Opfer seiner Triebe. Wenn man erreichen will, dass Männer in ihrem sexuellen Umgang mit ihrem Gegenüber respektvoll umgehen, sollte man ihnen helfen, ihr sexuelles Selbstbewusstsein zu stärken. Mann muss zu einem wohltuenden „Ja“ zu seinem sexuellen Erleben finden. Hat er zu einem „Ja“ zu sich gefunden, ist ihm der Schritt zum respektvollen und gesundem „Ja“ zu seinem Gegenüber leicht. Degradiert man hingegen den Mann pauschal zum Opfer seiner sexuellen Triebe, wird man das genaue Gegenteil erreichen.
Wie das genau geht, ist wieder ein komplexes Thema. Ein Thema, welches ich schmerzlich insbesondere in der christlichen Männerarbeit vermisse.

Soweit meine kurzen Gedanken zu diesem Teilthema. Dies hier kann und soll nur ein Anstoß sein, noch einmal deutlich reflektierter mit dem Thema der männlichen Sexualität umzugehen. Ich wünschte mir, dass viele – speziell in der christlichen Männerarbeit – anfangen, gründlicher darüber nachzudenken, ob das, was sie als Hilfe anbieten, letztlich doch noch mehr schaden könnte. Denn das ist mehr und mehr mein Eindruck von den Ergebnissen diverser Hilfestellungen – speziell aus der christlichen Männerarbeit.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner