Vergebung und Versöhnung

In einem Gespräch ging es darum, dass Jemand weiterhin Probleme hat, einem nahen Verwandten zu begegnen, ob wohl er, als gläubiger Christ, diesem längst vergeben hätte, was dieser früher einmal getan hat. Gemeinsam dachten wir darüber nach, welche Unterschiede es zwischen Vergebung und Versöhnung gibt.
Vergebung
Dieses Thema ist für viele ein echtes Problem. Jemanden vergeben, von dem man sehr verletzt wurde, ist garnicht so leicht. Schon deshalb nicht, weil der Begriff „Vergebung“ oft nicht klar definiert ist. Was also ist Vergebung?
Vergebung bezeichnet den Verzicht auf eine berechtigte Strafe. Das finden wir anschaulich in dem Gleichnis Jesu über den „Schalksknecht“ in Matth. 18:21-35 wieder. Dieses Gleichnis erwidert Jesus dem Petrus auf seine Frage, wie oft wir einem Bruder vergeben sollen.
Vergebung setzt also voraus, dass Jemand an einem anderen schuldig geworden ist. Derjenige, an dem dieser schuldig geworden ist, hat nun die Möglichkeit diese Schuld vorzuhalten und die Bezahlung der Schuld zu fordern – entweder durch eine materielle Erstattung oder durch eine Bestrafung des Schuldners – oder auf diese Bezahlung oder Strafe zu verzichten.
Vergebung ist damit zunächst ein Begriff aus dem Recht.
Vergebung ist für uns Christen eine ernste Sache. Viel ernster, als dies uns oft bewusst ist. Sagt Jesus doch im Anhang an das berühmte „Vater unser“:
Matthäus 6:14 Denn wenn ihr den Menschen ihre Vergehungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben; 15 wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater eure Vergehungen auch nicht vergeben.
Das wird auch in dem eben genannten Gleichnis deutlich. Vergebung von Gott zu empfangen verpflichtet uns also dazu ebenfalls zu vergeben. Tun wir das nicht, kann es uns genauso ergehen wie diesem Schalksknecht. Keine Vergebung von Gott zu bekommen kann auch bedeuten, dass wir dann auch kein Heil mehr erfahren. Keine lässliche Angelegenheit also.
Vergeben bedeutet aber nicht vergessen.
Ein hartnäckiges Gerücht dass sich nicht nur unter Christen hält ist, dass zu vergeben bedeuten würde auch zu vergessen was gewesen war. Wenn ich wieder auf das Gleichnis zu sprechen komme, sehen wir, dass der König in dem Gleichnis zwar vergeben hatte, später aber sehr wohl erinnerte was er vergeben hatte. Wenn wir in dem König des Gleichnis nun Gott selbst wahrnehmen, wird auch deutlich, dass Gott nicht so einfach vergisst. Es ist uns Christen zwar verheißen, dass alle unsere Untaten dereinst einmal vergessen sein werden, aber zuvor haben wir noch das „Werkegericht“ vor uns, von dem in Offenb. 20:12 geschrieben ist. Daran ändert auch nichts, wenn über Gott geschrieben steht:
Micha 7:18 Wer ist ein Gott wie du, der Schuld vergibt und Vergehen verzeiht dem Überrest seines Erbteils! Nicht für immer behält er seinen Zorn, denn er hat Gefallen an Gnade. 19 Er wird sich wieder über uns erbarmen, wird unsere Schuld niedertreten. Und du wirst alle ihre Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.
Eine Steigerung des Vergessen ist dann noch, dass dadurch oder zusätzlich noch das Gewesene durch Vergebung gutgeheißen würde. Aber das stimmt auf gar keinen Fall – es steht der Vergebung sogar diametral entgegen. Wie sollte etwas, was im Nachhinein gutgeheißen wurde immer noch die Berechtigung zur Strafe beinhalten, auf welche durch Vergebung verzichtet wurde. Vergeben bedeutet die Berechtigung der Strafe zu bestätigen – auch wenn man auf diese verzichtet.
Versöhnung
Vielen ist nicht klar, dass Vergebung und Versöhnung nicht dasselbe ist. Von dem meisten erfahre ich, dass sie meinen versöhnt zu sein, wenn sie vergeben haben. Aber dem ist nicht so.
Selbst Gott beschränkt sich nicht darauf, uns unsere verdiente Strafe für unsere Sünden zu vergeben, er hat sich mit uns sogar versöhnt:
2 Korinther 5:18 Alles aber von Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat, 19 nämlich daß Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnte, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort von der Versöhnung gelegt hat.
Was also ist nun Versöhnung?
Versöhnung ist nicht nur der Erlass einer verdienten Strafe. Wer einem anderen eine Strafe erlässt, bleibt zunächst in einem Beziehungsgefälle verharren: Der Kläger der über den Beklagten steht, diesem aber die Strafe erlassen hat. Versöhnung bedeutet darüber hinaus, dass der Kläger seine erhöhte Position verlässt und sich wieder auf eine Begegnungsebene begibt, in der Begegnung zwischen den beiden Parteien auf Augenhöhe möglich ist.
Wichtig ist mir hierbei, dass Begegnung auf Augenhöhe nicht zwangsläufig bedeutet, dass die eventuell zuvor bestandene Beziehung wieder aufgenommen werden müsste. Oft wird das so verstanden, ist aber nicht richtig. Das bedeutet, dass man mit einem ehemaligen Schuldner versöhnt sein kann und trotzdem auf Distanz bleibt.
Was bedeutet das nun konkret?
Ich greife dafür einen Bibelvers auf, der uns aufgrund der Brisanz des Themas gut aufzeigen kann, was ich meine und der zu oft völlig missdeutet wird.
1 Korinther 7:10 Den Verheirateten aber gebiete nicht ich, sondern der Herr, daß eine Frau sich nicht vom Mann scheiden lassen soll 11 wenn sie aber doch geschieden ist, so bleibe sie unverheiratet oder versöhne sich mit dem Mann und daß ein Mann seine Frau nicht entlasse.
In der Regel wird dieser Vers so ausgelegt, dass die Frau zu ihrem ehemaligen Mann zurückkehren müsse, da sie sich ja mit diesem versöhnen soll. Das kann aber ganz schnell zum ad absurdum werden. Ich befand mich einmal in einem echten Dilemma aufgrund dieser Bibelstelle. Meine ehemalige Frau und ich waren geschieden und sie wollte wieder heiraten. Es hat mir sehr viel bedeutet, dass ich von dieser Frau nach der Scheidung frei war, um selbst auch wieder heiraten zu können. Nun wollte sie vor mir wieder eine neue Ehe eingehen und fragte unseren ehemaligen Pastor, ob dieser sie trauen würde. Der Pastor bekam daraufhin aufgrund dieser Bibelstelle echte Probleme und ich auch. Es war so, dass sie sich damals von mir scheiden lassen wollte und wir dann auch geschieden wurden. Ist sie nun von dieser Bibelstelle aufgefordert sich mit mir zu versöhnen – sprich die alte Ehe wieder aufzunehmen? Wenn ja, was wenn ich aber nicht mehr möchte? Was nun, war ich von dieser Ehe frei oder sollte das nur eine Pseudofreiheit gewesen sein? War ich doch noch weiter an diese Frau gebunden, obwohl wir geschieden waren? Das hat mich in echte Nöte gebracht. Also studierte ich diesen Vers sehr genau und fand erstaunliches.
Zunächst ist das griechische Wort, dass hier mit „versöhne“ übersetzt wird, ein gänzlich anderes Wort als Wiederherstellung. Nicht einmal in ihrer sprachlichen Wurzel sind beide Worte verwandt. Hier in dem Vers steht das griechische Wort: „katallasso“. Ein zusammengesetztes Wort aus der Vorsilbe „kat“, welche „hinab“ oder „bis in die Tiefe“ bedeutet und dem Wort „allasso“, welches ursprünglich aus der Handelssprache kommt und meint, dass zwei Parteien quitt sind, keine weiteren Ansprüche aneinander stellen. Zusammengenommen bedeutet hier versöhnen also, jeglichen Anspruch aneinander loszulassen, darauf zu verzichten und zwar bis in die Tiefe (unserer Seele) hinein.
Das ist etwas völlig anderes, als die Wiederherstellung von etwas Gewesenen. Verzichtet Vergebung lediglich auf die berechtigte Strafe, so verzichtet der Versöhnte auch auf die weitere Feststellung, dass einmal eine Strafe berechtigt war – ohne zu vergessen, was einmal war. Versöhnt zu sein bedeutet also auch die Anklage niederzulegen und eine neue Begegnungsebene zuzulassen.
Was bedeutete das für mich und meine ehemalige Frau? Etwas, was wir längst getan hatten: wir haben unsere gemeinsame Geschichte als etwas gewesenes akzeptiert, was nicht weiter Bestand hat. Wir haben uns gegenseitig gehen lassen, wirklich aus der alten Ehe entlassen. Wir erhoben keine weiteren Ansprüche aneinander – auch wenn der Staat in Sachen Unterhalt hier weitere Vorbehalte beibehält. Es ging hier auch nicht um materielle Ansprüche, sondern um emotionale. Wir verzichteten bereits damals auf weitere gegenseitige Anklagen, ohne das Ende unserer Ehe damit zu vergessen. Was war, ist gewesen und ich kann auch Heute hier davon berichten. Nur vorhalten werde ich es ihr nicht mehr und sie hält es mir nicht mehr vor. Wir sind versöhnt. Wir sind quitt, haben keine weiteren Ansprüche aneinander, bis in die Tiefe unserer Emotionen hinein.
Verstehen sie? Versöhnung ist kein Akt der Hilflosigkeit oder Resignation, es ist ein Akt aus Barmherzigkeit und Freundlichkeit zueinander. Als Versöhnte können wir uns offen ansehen und begegnen uns auf derselben Ebene in Augenhöhe. Keiner von uns wird weiter als niedriger oder schlechter betrachtet.
„agree to disagree“
Einen ähnlichen Akt der Versöhnung kann man auch vollziehen, wenn man z.B. eine bestimmte enge Beziehung auflöst, damit man sich weiter begegnen und miteinander reden kann.
Ich befand mich einmal in einer solchen Situation mit den Leitern der Gemeinde, zu der ich damals gehörte. Zwischen uns hatte sich ein unschönes, spannungsgeladenes und mit Anklagen versetztes Verhältnis ergeben. Ich erkannte dass dieses Verhältnis so nicht lösbar war, weil keiner von uns von seinen Ansprüchen und Anklagen zurücktreten würde. So entschloss ich mich zu dem Schritt der Versöhnung der jetzt noch möglich war. Die Spannung resultierte aus dem Beziehungsgefälle zwischen uns – den Leitern und mir dem Mitglied der Gemeinde. Ich löste diese Beziehung auf, verließ also die Gemeinde als Mitglied um eine Beziehung auf einer anderen, gleichberechtigten Ebene zu ermöglichen. Ich ging also, bevor wir nicht mehr miteinander reden konnten. Das hat auch recht gut funktioniert. Auch wenn wir nicht weiter zusammen in einer Gemeinde zusammenarbeiten, so ist es uns dennoch gelungen vereinzelt zusammen zu arbeiten – als Parteien auf derselben Ebene. Wir haben uns versöhnt ohne zu vergessen und zu verneinen, dass eine andere Ebene der Begegnung zwischen uns nicht funktioniert hat.
Im englischsprachigen nennt man das „agree to disagree“ – „übereinkommen oder akzeptieren, dass man nicht übereinkommt“. Dies zu tun, ermöglicht eine neue Begegnungsebene und damit weiter miteinander reden zu können.
Das funktioniert auch auf anderen Beziehungsebenen. So kann Versöhnung auf dieser Basis sogar zwischen Eltern und Kindern, ehemaligen Freunden und ehemaligen Ehepartnern funktionieren.
Das ist alles andere als „Versöhnung zweiter Klasse“ – das ist original das, was Gott mit uns getan hat, als er sich mit uns versöhnt hat. Zuvor war Gott der Richter über den Sünder. Er entschloss sich die verdiente Strafe nicht weiter zu fordern, sondern nahm diese in Jesus selbst auf sich. Es blieben der Richter Gott und der Sünder dem vergeben wurde. Nun aber hat Gott dem vergebenen Sünder in Christus als sein Kind angenommen und sieht in uns Christus selbst.
Römer 8:15 Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, wieder zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater! 16 Der Geist selbst bezeugt zusammen mit unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind. 17 Wenn aber Kinder, so auch Erben, Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir wirklich mitleiden, damit wir auch mitverherrlicht werden.
Gott hat uns auf seine Ebene erhöht, ohne dass dabei vergessen ist, wer wir sind und wer Gott ist.
Gott, der gerechte Richter
Erlebtes Unrecht lässt verständlicherweise den Wunsch nach Anerkennung des Unrechts aufkommen, dass man erlebt hat. Wie geht Gott damit um, wenn wir damit zu ihm kommen? Bedeutet Versöhnung nun, dass wir doch dieses Unrecht einfach vergessen müssen – so tun sollen, als sei es nie geschehen? Ist das denn Gerechtigkeit?
Nein, unser Gott stellt sich in der Bibel auch als der gerechte Richter vor. Er sieht das Unrecht, dass wir erleben mussten und verwirft es nicht einfach. Wenn wir bereit sind, den Weg der Versöhnung zu gehen, so dürfen wir das erlebte Unrecht an Gott abgeben, der damit gerecht umgehen wird. Die Bibel sagt uns:
Römer 12:17 Vergeltet niemand Böses mit Bösem; seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen! 18 Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden! 19 Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt Raum dem Zorn! Denn es steht geschrieben: «Mein ist die Rache; ich will vergelten, spricht der Herr.» 20 «Wenn nun deinen Feind hungert, so speise ihn; wenn ihn dürstet, so gib ihm zu trinken! Denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.» 21 Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten!
„Ich will vergelten, spricht der Herr“ – so wird es uns hier gesagt. Wenn wir also bereit sind, die Schuld unserer Schuldiger loszulassen, respektive an Gott abzugeben, so dürfen wir wissen, dass diese Schuld dadurch nicht in Vergessenheit gerät. Gott übernimmt den Anspruch des gerechten Ausgleich für uns und wird diesen weiter verfolgen. Doch ist Gott nicht von solchen Emotionen, wie wir sie haben, getrieben. Sein Richterspruch, seine Rache wird gerecht sein.
Eins sollte uns dabei aber immer bewusst sein: geben wir diesen Anspruch an Gott ab, so müssen wir uns davon wirklich lösen. Und so wie Gott uns unsere Schuld vergibt, wenn wir darüber Reue empfinden und seine Vergebung annehmen, so wird er auch denen vergeben, die an uns schuldig geworden sind, wenn auch sie Reue darüber empfinden werden. Gottes Ziel ist, dass jeder Mensch Vergebung empfangen kann, wenn er sie bei Gott sucht.
So sind wir nicht aufgefordert Unrecht einfach zu vergessen. Aber durch die Versöhnung, die uns durch Gott ermöglicht wird, gibt es einen realen Weg nicht weiter an dem Unrecht gebunden zu sein, dass an uns verübt wurde. Versöhnung bedeutet frei zu werden von Lasten, die uns andere auferlegt haben.

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