Irmgard

Das Interview / “miteinander unterwegs 1/2002”

Wir haben gelernt, Eigenverantwortung zu übernehmen

Meine Ehe ist gerettet

Irmgard G.. (Name geändert), 40 Jahre, ist in schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen. Sie lernte mit 16 Jahren ihren heutigen Mann kennen und zog von zu Hause aus. Nach 10jähriger Ehe trennte sie sich von ihrem Mann, und 1½ Jahre später kam es zur Scheidung. Ein Jahr später heiratete sie wieder denselben Mann. Das ist nun 5 Jahre her. Die Kinder sind heute 15 und 17 Jahre alt.

Ruth Irmisch war mit Irmgard G. im Gespräch:

Wie ging es Ihnen nach der ersten Eheschließung?

Im Laufe der Jahre fühlte ich mich mehr und mehr unverstanden, nicht akzeptiert. Ich wollte aus der Beziehung raus. Ich wollte ein anderes Leben führen. Ich wollte einen Menschen, der mir das gibt, was mir fehlt: miteinander reden können, zuhören, mich ernst nehmen. Ich konnte mir nicht
vorstellen, dass Gott will, dass ich und wir als Familie leiden.

Wie hat sich das ausgewirkt?

Ich habe mich innerlich von meinem Mann entfernt. Mir war es nicht mehr wichtig, was er von meiner Lebensgestaltung hält. Ich musste um vieles kämpfen. Bezüglich der Kindererziehung war ich allein. Er hat sich ausgeschwiegen und ist dann irgendwann explodiert. Als Schweiger machte er Probleme mit sich selbst aus und hat dadurch gleichzeitig Macht ausgeübt. Ich will reden, ich will wissen, was im anderen vorgeht.
Besonders störten ihn meine Gemeindebesuche. In meiner Einsamkeit war die Gemeinde für mich ein Ort der Geborgenheit.

Und wie hat das Ihr Mann erlebt?

Er empfand Verbitterung: Sie lässt mich in Stich, sie schreibt mich ab wie einen Gebrauchsgegenstand, der nicht mehr benutzbar ist. Ich habe nur meine Situation gesehen. Schuldzuweisungen und Unversöhnlichkeit waren an der Tagesordnung. Mein Mann blieb außen vor. Deshalb hat er gegen die Kinder und die Gemeinde gekämpft.

Und dann haben Sie sich getrennt?

Ja, Achtung und Respekt vor dem anderen waren uns abhanden gekommen. Die Selbstachtung fehlte. – Durch die Trennung habe ich gelernt, allein zu leben. Auch mein Mann hat gelernt, für sich selbst zu sorgen, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten und sich etwas Gutes zu tun. Er hat sich von seinen Eltern gelöst.

Was hat sich bei Ihnen im wesentlichen geändert?

Während einer Fastenwoche habe ich erkannt, wo meine Schuld und mein Versagen in der Beziehung liegt. Das war in der Zeit, als ich die Scheidung eingereicht hatte. Ich habe dann versucht, die Scheidung rückgängig zu machen, dazu hat man vier Wochen die Möglichkeit. Aber mein Mann wollte nicht.

Was haben Sie dabei empfunden?

Ich empfand immer noch ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Ich habe mich für ihn verantwortlich gefühlt, z. B. für ihn gekocht und das Essen mit den Kindern zu ihm bringen lassen. Das gute Gemeinsame kam wieder zum Vorschein. Man weiss erst, was man verloren hat, wenn man es nicht mehr hat. In mir wuchs wieder das Gefühl der Liebe und Zuneigung.

Wie erklären Sie sich das?

Ich war früher emotional, heute mehr rational. Mein Mann hat mehr Nähe gesucht. Durch Nähe und Zuwendung öffnet er sich. Er redet, wenn ich ihm zuhöre. Erst dann kann er auch mir zuhören. In der Zeit mit den kleinen Kindern gab es nicht genügend Zweisamkeit. Die Liebe war im Laufe der Zeit verschüttet. Wir mussten sie ausgraben mit dem Müll, den wir beide darauf abgeladen hatten.
Ich habe erkannt, dass Probleme nicht immer gleich gelöst werden können, dass Spannungen ausgehalten werden müssen. Ich muss dem Partner Zeit lassen, ihn nicht überfahren.
Zur Ehe gehört nicht nur Nähe, sondern auch eine gewisse Distanz. Das schätzt vor Verletzungen.
Nicht für den anderen alles aufgeben, das macht die Achtung voreinander kaputt.
Mein Mann schätzt mich mehr, seitdem ich beruflich tätig bin. Ich bin zufriedener, weil ich mein Eigenes habe. Außerdem gibt die doppelte Berufstätigkeit mehr finanzielle Sicherheit. Ein Berufswechsel kann eher gewagt werden.

Wie kam es zur zweiten Eheschließung?

Ich musste meinen Mann davon überzeugen. Ich habe ihm gezeigt, dass mir wirklich viel an ihm liegt. Es hat ½ Jahr gedauert, bis er zur zweiten Heirat bereit war.

Sie sind inzwischen wieder fünf Jahre verheiratet. Wie geht  es Ihnen heute?

Die Achtung voreinander ist gewachsen. Wir geben uns jetzt viel mehr Freiraum. Wir sehen die Beziehung mehr als Bereicherung, weniger als Stütze.
Jeder sorgt selbst dafür, dass er im persönlichen Leben und im Beruf zufrieden ist und erwartet nicht so viel vom anderen. Wir haben gemeinsame Hobbys. Wir pflegen die Beziehungen zu Freunden. Dabei nimmt man wahr, wie der Partner von anderen geschätzt wird. Ich sehe ihn nur von meiner Warte aus.
Ich höre auf, meinen Mann verändern zu wollen, denn auch ich möchte nicht zur Veränderung gezwungen werden. Wenn ich den anderen stehenlasse, wird er sich auch mir gegenüber entsprechend verhalten.

Ruth Irmisch

Aus:  “miteinander unterwegs 1/2002”, Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion

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