Es herrschte helle Aufregung unter den anwesenden Verwandten. Tränen flossen, alles lief aufgeregt hin und her, überlegend, was jetzt zu tun sei. Aufgeregt tuschelten sie untereinander über die Nachricht, dass es jetzt zu Ende gehen würde. Der Pastor war unterwegs, um den Sterbenden noch einmal Trost durch den Glauben zu vermitteln und um den Anwesenden ein letztes Mal ein Abendmahl zusammen mit dem Sterbenden zu ermöglichen. Als der Pastor eintraf, zog er sich zusammen mit dem Ehepartner des Sterbenden in das Zimmer zurück, in dem der lag, der sich nun bewusst war, die letzten Stunden seines Lebens anzugehen. Nur verhalten waren die Stimmen der drei aus dem Zimmer zu hören und immer wieder war deutlich zu vernehmen, dass der Pastor betete. Mit jedem vernehmlichen Gebet war zu spüren, dass unter den Anwesenden nach und nach wieder Ruhe einkehrte. Dann wurden alle dazu gebeten, um das gemeinsame Abendmahl zu feiern. Jetzt wurde es sehr deutlich: der Pastor vollzog das ihm so sehr vertraute Ritual und in seiner Festigkeit darin, war er gleichsam in dem Moment derjenige, der den Anwesenden ein Geländer anbot, an dem sich die von Trauer Überwältigten festhalten konnten. Auch solche unter den Anwesenden, denen ansonsten Glaube, Kirche und Co. eigentlich nichts bedeuteten, waren nun vereint im gemeinsamen „Vater unser…“
Überkommene Traditionen
Gerade in den Reihen der Christen, die sich von den altbekannten Kirchen- und Gemeindegeschehen abgewandt haben, stößt man oft auf eine völlige Ablehnung gegenüber Riten und Ritualen. Wer aber genau hinsieht, wird auch unter den Christen eine gute Anzahl von Ritualen vorfinden. Das hat seinen Grund in unserem Menschsein, in dem wie uns Gott geschaffen hat.
Die Ablehnung gegenüber Ritualen begründet sich nicht selten darin, dass mit den Ritualen alte Traditionen verbunden werden, die oft nicht mehr in unsere Zeit zu passen scheinen. Traditionen, die ein Synonym für Machtstrukturen sind und für Glaubensgemeinschaften, in denen der wirkliche Kern des christlichen Glaubens kaum noch zu spüren ist.
Helfer auf dem Weg
Nicht nur in dem obigen Beispiel wird deutlich, wie notwendig wir Menschen Riten als eine Art Geländer auf unserem Lebensweg benötigen. Riten geben uns die Möglichkeit zur Ruhe zu kommen, und zu besinnen, innezuhalten und das auszuklammern, was uns ansonsten so treibt. Riten bieten uns auch einen Halt in dem Umgang und in der Begegnung mit dem Gott an, der Manchen so fremd und unnahbar erscheint. Aber Riten helfen auch dem, der im Umgang mit Gott gewohnt und mit ihm vertraut ist.
Riten helfen uns in so vielen Dingen, wo wir es kaum vermuten würden. So hat fast jeder Mensch seinen morgendlichen Ritus, mit dem er den Tag beginnt. Oder wir haben Riten auf der Arbeit sowie anderen Begegnungsorten in unserer Gesellschaft.
Riten helfen uns alltägliches zu bewältigen, dort gewisse Strukturen zu bilden und das auf uns Einströmende zu bewältigen.
Wenn wir in unserem Alltag schon so viele Riten leben, so kann uns ein Ritus, der durch uns selbst mit Leben erfüllt wird, auch in unserem Glaubensleben eine wertvolle Stütze werden.
Riten des Lebens
In jedem Bereich unseres Lebens besteht die Gefahr, dass Riten in toten Formen enden. Es existieren nur noch die äußeren Formen, aber das Leben ist längst daraus entwichen. Beziehungen können in einem Ablauf alltäglicher Riten versteinern, unsere Arbeit zu hohlen Formen ewig gleicher Leistungen verkümmern, usw.
Es liegt an uns, ob wir uns angebotene Riten mit Leben füllen. Ob wir gewohnten Riten, die mit immer gleichem Pulsschlag etwas am Leben erhalten, wieder neue Kraft geben, wieder neu den Puls des Lebens zu erfrischen und Leben in altbekannte Formen zu hauchen.